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Regionalisierung - Prozess der Zukunft?

(Ein Debatten-Anstoss.)

Gesellschaft ist einem ständigen Wandlungsprozess unterworfen. Betrachten wir die Herausforderungen für die menschliche Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts bemerken wir eine ganze Sammlung an Herausforderungen, die uns unruhig machen:

Globale Probleme: Peak Oil, Klimawandel, Wirtschaftskrise
Von unserem aktuellen Standpunkt aus gibt es kaum ein Szenario, welches ein weiter so zuläßt. Der Klimawandel stellt langfristig das Überleben unserer Spezies in Frage, Peak Oil und die Rohstoffverknappung stellen mittelfristig unsere Art des Lebens in Frage und die sich aus einer Finanzkrise entwickelnde Wirtschaftskrise provoziert bereits kurzfristig eine Infragestellung unserer Art zu Wirtschaften. Keines dieser Probleme kann von einem Menschen allein gelöst werden. Kaum eines dieser Probleme kann von einer isolierten Gruppe von Menschen gelöst werden, denn sowohl die Probleme als auch wir Menschen sind eng miteinander vernetzt. Doch was die Lösung dieser Probleme angeht stehen wir noch ganz am Anfang, denn es gibt unter uns Menschen bislang weder einen Konsens darüber, daß diese Probleme tatsächlich existieren beziehungsweise auf uns zukommen, noch gibt es Strategien oder Lösungskonzepte, die von allen oder wenigstens von vielen aktiv aufgegriffen werden.

Es könnte daran liegen, daß wir Menschen uns ungern mit Problemen befassen. Wir suchen nach den guten Seiten im Leben und wollen es genießen. Probleme überlassen wir gern anderen, zumal wenn es sich um Probleme handelt, für die wir uns entweder nicht zuständig fühlen oder die so groß sind, daß wir keine Ansatzpunkte sehen. Beides dürfte auf die Probleme Klimawandel, Peak Oil und Wirtschaftskrise zutreffen.

Um uns selbst und unsere Mitmenschen zu aktivieren, sich mit den Herausforderungen konstruktiv zu befassen, brauchen wir aus meiner Sicht einen positiven Ansatz. Ich bin nicht allein mit dieser Forderung, auch aus anderen Ecken kommen Rufe, dass wir motivierende Visionen benötigen, statt dem beständigen Hinweis auf die Probleme. Probleme sind dazu da, uns zu treiben, Visionen dazu da, uns zu ziehen. Wenn das eine mit dem anderen kombiniert wird wirken zwei Kräfte, die sich gegenseitig stützen und beschleunigen. Ich glaube, wir brauchen das!

Ich möchte vorschlagen, für einen positiven wirkenden Ansatz die Idee einer Regionalisierung der Welt aufzugreifen und zu entwickeln. Zu entwickeln vor allem deshalb, weil der Begriff "Regionalisierung" noch nicht "fertig" ist. Er ist bislang unbesetzt, hat keine eindeutige Bedeutung, kann geformt und geprägt werden:

Unbesetztes Stichwort Regionalisierung

Menschen machen Prozesse an Worten fest. Wir haben es schwer, manche Dinge zu beschreiben oder sie als Phänomen überhaupt wahrzunehmen, wenn es dafür kein Wort gibt. Deshalb haben sich Worte wie "Peak Oil" entwickelt, die von sich aus teilweise selbsterklärend sind, an die aber sehr viele Assoziationen geknüpft werden, die den Begriff mit Bedeutung aufladen. Menschen, die sich mit "Peak Oil" befassen entwickeln im Laufe der Zeit ein komplexes Bild davon, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Sie verbinden damit das Problem eines Höhepunktes in der Ölförderung genauso wie die Auswirkungen, die dieser Höhepunkt hat. Sie assoziieren "Peak Oil" mit der Abhängigkeit unserer Gesellschaft vom Öl, mit der Vielzahl der Produkte, die auf Öl basieren und mit der Notwendigkeit des kostbaren Rohstoffes für unsere Art Verkehr und Wirtschaft zu organisieren. Aber sie verbinden auch die Notwendigkeit des Umsteuerns mit diesem Begriff. Doch genau dieses Umsteuern ist noch am wenigsten fassbar, am unkonkretesten, vielleicht einfach deshalb weil "Peak Oil" eben vor allem die Problemseite beschreibt und weniger die Ansätze zur Lösung dieser Probleme.

"Regionalisierung" ist ein Begriff, welcher bislang kaum genutzt wird. Er spielt in der gesellschaftlichen Wahrnehmung keine große Rolle und es gibt bislang auch wenige Assoziationen, die dieses Wort auslöst. Es steckt der Begriff "Region" darin, ein ebenfalls kaum definiertes Wort, von dem wir nur erahnen, daß es etwas mit Geografie zu tun hat. Und es steckt eine sprachliche Nähe zu "Globalisierung" darin, welche aber ebenfalls kaum konkret fassbar ist. Man könnte aus "Regionalisierung" einen Prozess herauslesen, von dem aber noch nicht klar ist, was diesen Prozess umfasst, ob er im Gange ist und wohin er führt.
Regionalisierung als Prozess

In diesem Sinne ist "Regionalisierung" prägbar. Ein Wort, welches mit Bedeutung aufgeladen werden kann, welches verbunden werden kann mit neuen Ideen, die eher der Problemlösung dienen und aufzeigen, wie eine Welt aussieht, die konstruktiv mit "Peak Oil", "Klimawandel" und "Wirtschaftskrise" umgeht. Gelingt es, dieses Wort mit visionären Bildern zu verbinden, die aktivierend wirken, Sinn versprechen und einen gangbaren Weg aufzeigen, so könnten wir hinter diesem Begriff jene Akteure sammeln, die unsere Welt neu gestalten wollen.

Regionalisierung als Kontrapunkt zur Globalisierung

Die sprachliche Nähe des Wortes "Regionalisierung" zum bekannten Begriff "Globalisierung" macht ihn in mehrfacher Hinsicht interessant. Einerseits deshalb, weil "Globalisierung" ein eher negativ besetztes Wort ist. Viele Menschen verbinden mit Globalisierung eine Beschleunigung ihrer Lebenswelt, mit der sie selbst kaum Schritt halten können. Eine Veränderung der Strukturen, die unseren Einfluss verringert. Sie verbinden damit Kommerz und Ausbeutung, sowohl Ausbeutung der Menschen als auch des Planeten. Dass "Globalisierung" auch sein Gutes hat findet sich selten, vielmehr erinnert dieser Prozess an eine Dampflokomotive, die ohne Rücksicht auf Mitreisende und Richtung Volldampf gibt und sich der Steuerung durch Lokführer, Schaffner und Reisende entzieht. Die drei Probleme von Klimawandel, Peak Oil und Wirtschaftskrise sind ebenfalls direkt mit diesem Entwicklungsprozess verbunden, wird Öl doch überall auf dem Planeten gefördert und gleichzeitig ebenfalls überall verbraucht, treibt dieser globale Ölverbrauch doch gerade den globalen Klimawandel an und ist die globale Vernetzung der Weltwirtschaft eine Ursache dafür, daß sich wirtschaftliche Krisensituationen auf der einen Seite des Planeten auch auf andere Regionen der Welt ausbreiten.

Es gibt nicht wenige Menschen, die Globalisierung (oft unreflektiert) ablehnen, ganz sicher aber noch einige Menschen mehr, die sich nach einem Prozess sehnen, an dem sie sich beteiligt fühlen, den sie mitsteuern dürfen, bei dem sie gefragt werden und sich einbringen können. Deshalb kann "Regionalisierung" nicht nur ein Wort sein, welches etwas positives Neues verspricht, sondern tatsächlich ein Prozess, der zu neuen Wegen führt. Denn wenn man "Regionalisierung" versteht als ein Herunterbrechen von Projekten und Prozessen auf die Ebene von Regionen, dann holt man diese Prozesse und Projekte eben viel näher heran an uns Menschen. Probleme werden kleiner und zeigen deshalb eher ihre Lösungsmöglichkeiten, wenn sie sich auf regionaler statt auf globaler Ebene abspielen. Lösungen rücken näher, wenn sie nicht auf der anderen Seite des Planeten gefunden werden müssen sondern vor unser aller Haustür. Und "Regionalisierung" hat den Charme, dass der Begriff bislang eben nicht besetzt ist, sondern durch die Aktiväten vor Ort erst gebaut, erprobt und entwickelt werden kann und er somit offen ist für Menschen, die sich einbringen wollen.

Regionalisierung ist, genau wie Globalisierung, ein Prozess. Das sagt bereits das Wort, welches keinen statischen Zustand beschreibt sondern offensichtlich auf eine dynamische Entwicklung hinweist. Prozesse starten und laufen. Ob sie abgeschlossen werden können, ob Regionalisierung also einen "Endpunkt" hat, ist bislang nicht klar. Vermutlich kann man diese Frage nur bejahen, wenn der Begriff mit einem definierten Ende assoziiert wird, wenn sich im Prägungsprozess des Wortes "Regionalisierung" also eine Endvision herauskristallisiert, die mit diesem Wort gleichgesetzt wird. In der Gegenüberstellung mit "Globalisierung" läßt sich jedoch sagen, daß Regionalisierung etwas ist, was auf kleinräumiger Ebene stattfindet. Etwas, was man "unterhalb" der Globalisierung anordnen kann. Näher am Menschen. Regionalisierung als Prozess, der zur Herausbildung von Regionen führt und damit zugleich eine Art Fundament für das errichtet, was wir "Globalisierung" nennen. Die Globalisierung hat bislang nur wenige Menschen eingebunden und mitgenommen. Wir wurden oftmals eher in die Strukturen eingezwungen, die die Entwicklung vorgab, aber wir konnten weder die Strukturen noch den Prozess aktiv formen. Man könnte Regionalisierung deshalb als den Prozess bezeichnen, in dem sich Menschen die Macht über die Prozessgestaltung (zurück)holen. Indem sie auf regionaler Ebene gestaltend wirken und damit den Globalisierungsprozess beeinflussen. Wir wissen nicht, wie intensiv Globalisierung von unten beeinflussbar ist, wir können aber ganz klar sagen: Nur dagegen sein reicht nicht! Das hat die "Antiglobalisierungsbewegung" in den letzten Jahren gezeigt. Sie hat zwar ihren Unmut geäußert, ihre Proteste in die Gesellschaft getragen, aber den großen globalen Prozess hat sie weder aufgehalten noch wirklich intensiv beeinflusst. Einzig die Vernetzung zwischen Menschen und die Entstehung lokaler Gruppen ist ein wirklich nachhaltiges Resultat dieses Prozesses. Ein Resultat, daß jedoch dem Verfall geweiht ist, wenn es nicht zunehmend in einen konstruktiven Prozess eingebunden und gewandelt wird, in einen Prozess der für etwas ist und nicht nur dagegen.

Möglich wäre, daß man hinter dem Begriff "Regionalisierung" jene Vorstellungen einer anderen Welt sammeln könnte, die eben jenen konstruktiven Prozess ausmachen und motivierend wirken, damit breite Schichten unserer Gesellschaft sich daran beteiligen.

Zeit für neue Strukturen?

Und ist es nicht sowieso Zeit für neue Strukturen? Für eine größere Unabhängigkeit der Regionen von den globalen Entwicklungen? Totale Unabhängigkeit ist weder erreichbar noch wünschenswert, schließlich leben wir auf diesem Planeten in einem umfangreich vernetzten Gewebe. Aber ist es sinnvoll, daß Wirtschaftskrisen in rasanter Fahrt von einer Seite des Planeten auf die andere übergreifen? Ist es denn nötig, daß Produkte tausende von Kilometern gefahren werden, wo sie doch auch in direkter Nähe wachsen oder produzierbar sind? Wem ist geholfen bei der "totalen Flexibilisierung des Arbeitnehmer", der Familie, Freunde und gewachsende Bindungen zurück läßt, um hunderte Kilometer entfernt sein Geld zu verdienen, weil in so mancher Region der Lebensunterhalt nur noch schwer verdienbar ist?

Nein! Es scheint Zeit für neue Strukturen. Kleinräumige Strukturen. Überschaubar für den Einzelnen und - was mindestens genauso wichtig ist - beeinflussbar! Kleinräumige Strukturen, die Leben und Arbeiten an einem Ort ermöglichen. Die eine Ökonomie der Nähe erlauben. Damit der Transport, der durch Peak Oil in den kommenden Jahren massiv beeinflusst wird, noch möglich ist! Und nicht unsere Versorgung daran scheitert, daß uns der Sprit fehlt, um LKWs in unsere Märkte fahren zu lassen. Es ist Zeit für Strukturen, die Regionen soweit unabhängig von den Weltmärkten machen, daß sie selbstversorgend arbeiten können. Sich und ihre Bewohner versorgen können mit Essen, Wohnen, Energie, Bildung, Kultur und Mobilität. Und die unabhängig genug sind, sich darüber hinaus am freien globalen Markt zu beteiligen. Als gleichberechtigter Akteur auf Augenhöhe und nicht als abhängige Region, die nicht frei agieren kann. All diese wichtigen Ansätze kann ein Regionalisierungs-Prozess formen. Ist es also Zeit für neue Strukturen auf regionaler Ebene?

Erste Bausteine, Werkzeuge, Konzepte und Akteure vorhanden

Werkzeuge der Regionalisierung
Regionalisierung als Prozess intensiver in die gesellschaftliche Debatte einzuführen macht auch deshalb Sinn, weil es bereits verschiedene Bausteine und gesellschaftliche Gruppen gibt, die in diese Kerbe schlagen. Die aus dem Peak-Oil-Bewusstsein entstandene "Energiewende"-Bewegung (oder auch "transition town"-Bewegung) propagiert einen "Relokalisierungs"-Prozess. Einen Prozess, der das Lokale stärken soll und gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Entwicklungen vor allem wieder auf lokaler Ebene binden will. Im Zuge der Finanzkrise entstehen weltweit und vor allem auch im deutschsprachigen Raum Initiativen, die regionale Währungen etablieren. Sie wollen damit regionale Wirtschaftskreisläufe stärken und trugen in den vergangenen Jahren einen interessanten Teil zur Weiterentwicklung unseres Wissens über Geld bei. Aus dem genossenschaftlich orientierten Milieu drängt der Ansatz von Regionalfonds in die Öffentlichkeit, wo man Geldanlagen nicht nur der zunehmend instabilen globalen Spekulationssphäre entziehen will, sondern sie bewusst in regionale Projekte investieren will. Das ganze Spielfeld erneuerbarer Energien oder nachwachsender Rohstoffe ist regional orientiert, da die neue Art Energie zu gewinnen auf dezentralen Ansätzen basiert. Und im landwirtschaftlich/forstwirtschaftlich/Ernährungs-Sektor wurzelt die "Regionalbewegung", die in erster Linie den Absatz regionaler Produkte durch Regionalvermarktungsmechanismen stärken will aber dadurch zugleich natürlich Strukturen schafft, die regional ausgerichtet sind. "global denken, lokal handeln" ist immer noch der Ansatz der "Lokalen Agenda", von Umweltschutzgruppen und Nachhaltigkeitsinteressierten. All diese Ansätze könnte eine Regionalisierungs-Bewegung bündeln, indem sie fordert, große Prozesse auf die lokalen Begebenheiten herunterzubrechen, Lokalmatadoren ermuntert, die Vernetzung zu anderen Akteuren ihrer Region voranzutreiben und sich allgemein bemüht, den Regionalisierungs-Begriff mit weiteren Bausteinen und Aktivitäten zu unterfüttern und daraus eine Vision zu entwickeln, die in der Öffentlichkeit zu verbreiten ist.

Regionalisierung voraus?

Gesellschaft ist einem ständigen Wandlungsprozess unterworfen. Oft gab es Phasen für uns Menschen, nach denen nichts mehr war, wie vorher. Krieg oder Revolutionen. Die Erfindung der Dampfmaschine oder die Entdeckung der Elektrizität. Die Entwicklung der Landwirtschaft oder die des Internets. Es ist wahrscheinlich, daß nach "Peak Oil" oder dem Klimawandel auch nichts mehr ist, wie es einmal war. Die Frage ist, was wir Menschen daraus machen. Ob wir Entwicklungen anstoßen können, die unser (Über-)Leben sichern oder ob wir Schritte machen, die uns über den Abgrund hinaus führen. Die kommenden 10 Jahre werden vermutlich entscheidend dafür werden, welche Rolle unsere Spezies in der Geschichte des Planeten Erde spielen wird.

Die kommende Zeit wird geprägt werden von Auseinandersetzungen darüber, welcher Weg zu beschreiten ist. Ich glaube, ein Regionalisierungs-Prozess könnte eine gewichtige Rolle spielen und lade dazu ein, diesen Prozess zu gestalten, ihn auszuformen und zu diskutieren und natürlich: ihn zu beschreiten. Wir werden dazu neue Akteure und Ideen brauchen, die diesen Prozess unterfüttern und gangbar machen. Ideen, die möglichst viele Menschen aktivieren und mitnehmen können. Menschen, die sich einbringen und mitgestalten. Die sich vor Ort treffen und finden, sich vernetzen und kooperieren, die Projekte planen und umsetzen und innerhalb der kommenden Jahre die Samen für eine menschliche Gesellschaft legen, die langfristig auf diesem Planeten existieren kann und in der es sich zu leben lohnt.

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